Dienstag, Februar 27, 2007

Singapurer Spaziergang I

Ich falle um Viertel vor elf abends aus dem Nachrichtenraum, verlasse den Sender über den TV-Ausgang, will heißen das Fernsehgebäude und gehe die Andrew Road entlang bis zur Upper Thomson Road, die ich zunächst über einen Fußgängerüberweg überqueren muss, der über die jeweils vierspurigen Stadtautobahnspuren führt um auf der anderen Seite Bushaltestelle „Bef Andrew Rd“ auf eine 52, eine 855 oder eine 165 zu warten. Heute erwische ich bereits nach wenigen Minuten eine 52. In Singapur müssen die gewünschten Busse herangewunken werden, also hebe ich die Hand wie Sissy und flattere galant in den schwülen Abendhimmel hinein.

Bus Nummer 52 öffnet seine Türen und ich ziehe meinen Geldbeutel aus der Tasche, nicht um zu zahlen, sondern um meine EZ-Link Karte mit Guthaben lockerflockig über den Scanner am Eingang zu ziehen. Mit einem Aldi-ähnlichen Kassierergeräusch registriert das Gerät meinen Einstieg und die Fahrt kann beginnen. Bereits in den ersten Tagen hat mich eines irritiert.
Wieso haben Singapurer Busse keinen Haltestellenanzeiger oder wenigstens einen nuschelnden Fahrer, der die kommende Station ansagt? Es gibt lediglich ein Signal in LDC-Rot, dafür aber in fast allen Bussen Flachbildschirmen, auf denen relativ moderat, aber immer noch laut genug, als dass ich es einfach überhören könnte, aktuelle Sendungen zu sehen sind, momentan um diese Uhrzeit kurz vor 11 American Idol das amerikanische Vorbild der Dieter Bohlen-Kopie Deutschland sucht den Superstar, natürlich laut und bunt und grell und all das viel zu viel für müde Nachrichtenredakteure und – wie mir beim Umhersehen klar wird – auch für die meisten anderen Mitreisenden.
Ich steige fünf Haltestellen später aus und gehe auf Nahrungssuche, ein hungriger deutscher Wolf schleicht an den Ständen entlang der Upper Thomson Rd, Restaurants ohne Türen und Fenster, mit komplett zur Straße offener Fassade und vielen niedrigen Plastikstühlen und –tischen, die von den Imbissbesitzern lautstark oder mit einladenden Gebärden angepriesen werden. Ich entscheide mich heute nicht für indische Pfannkuchen Roti Prata, sondenr für chinesische Suppennudeln nebenan und nehme an dem bunten Playmobiltischchen Platz. „Ah, Dain Kinesisch isch der Hammer“ ist der Versuch einer deutschen Entsprechung des Singapurer chinessichen Dialekts, den es so auch wieder nicht gibt, weil er sich ändert je nachdem ob die Muttersprache des Sprechers Kantonesisch, Hakka, Hokkien oder Fujianhua ist oder Malaiisch. Wie gesagt ein Versuch, ich nehme Platz, bekomme vom enthusiastischen Budenbesitzer eine 660ml Flasche Tiger Bier am Tisch geöffnet und ich nehme einen kühlen Schluck frisch eingeschenkten Gerstensaftes um Viertel nach elf bei locker 25 feuchtesten Graden vor dem Herrn.
Ich plaudere ein wenig mit den Familienmitgliedern des Ladens und widme mich meiner Suppe.
Leicht angeschickert spaziere ich anschließend weiter die Upper Thomson Rd hinauf zur Esso Tankstelle. Dort arbeitet Carol, sie ist Mitte 50 und hat eine Tochter, die nicht ins Ausland möchte, weil sie dort wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wird, sagt ihre Mutter. Ich unterhalte mich mit ihr gerne um kurz vor Mitternacht, sie ist gesprächig, hat den Akzent eines Dorfschmiedes und blitzt mich aus kleinen Augen hellwach an. „Als Du das erste Mal hier rein gekommen bist, habe ich gedacht, Wah, was macht denn ein Ang Moh hier zu so später Stunde“. Ang Moh ursprgl. Hong Mao – Rothaar – ist der hiesige Ausdruck für den laowai, den Ausländer. "Wah" ist der häufigste Ausdruck überhaupt auf der Insel.
Ich plaudere mit ihr darüber dass sie gerne die Nachtschicht bis 7 Uhr übernimmt, weil sie dadurch mehr Ruhe hat. „Wenn Du mal am Nachmittag kommen würdest, hätte ich keine Zeit mit Dir zu plaudern“, sagt sie und macht eine abfällige Geste mit der Hand. „Zu viele Autos“, sagt Carol.
Ein Inder steht mittlerweile unbemerkt hinter mir, staunend lächelnd über unsere chinesische Konversation mit einer Diätcola in der Hand, ich lasse ihm den Vortritt, und Carol und ich setzen unser Gespräch fort. „Keine Freundin hier, hä?“, grinst sie mich verschmitzt an. Ich entgegegne, dass ich gerade einmal drei Wochen im Land bin, außerdem gäbe es zu viele wunderschöne Moderatorinnen im Sender, worauf sie laut loslachen muss und ich auch.
Mit einer Flasche Wasser und einer kleinen Tüte MMs, einem Snack, den ich bereits auf dem chinesischen Festland gerne zwischendurch zu mir genommen habe, verlasse ich die Esso Tankstelle. Der indische Tankwart, der auf der anderen Seite des Betoncarrés auf Kundschaft wartet, ruft mir etwas Unverständliches zu und hebt die Hand, ich grüße ihn mit erhobener Hand zurück und biege in die Venus Rd. Nach wenigen Metern steige ich nach links die Ontario Avenue hinauf und treffe Murthi, meinen indischen Nachtwächter, der mir seinen Wärterbürostuhl anbietet und froh ist, mich gleich in ein Gespräch über den Irak und die USA verwickeln zu können. Als ehemaliger Konstabler der indischen Polizei hat er dazu auch dezidierte Ansichten.

Ich spüre wie es mich freut, nach der Arbeit mit all diesen unterschiedlichen Menschen, die aufgrund ihrer Arbeit nachts eher alleine sind, zumindest aber einen ganz anderen Lebensrhythmus haben als ich, ins Gespräch zu kommen und mir über diese kurzen Plaudereien ihre Lebensumstände näherzubringen.
Vielleicht spüren sie, dass ich in diesen Tagen eine besondere Sensibiltät vermittle, weil ich mit offenen Augen und wachen Ohren auf sie zutrete, weil ich mich einbetten möchte in einen neuen sozialen Kontext und somit für jedes offene Gesicht dankbar sind so wie sie für meines.
Mein Interesse an ihnen ist jedoch mehr als das eines Sozialgeiers, mein Interesse gilt aufrichtig ihren Biografien, besonders hier, wo sich auf den ersten Blick nicht sagen lässt, woher die Akteure kommen, welchen Weg sie hinter sich haben. Das ist schon in meinem Heimatland schwierig genug, aber hier treffe ich eben auf Tamilen, die ich für Nordinder halte, Chinesen, die Malayen sind, Singapurer, die Deutsch sprechen usw. Ein Schmelztiegel der ganz besonderen Art, den ich täglich neu nach der Arbeit für mich zu entdecken beginne. Zu Fuß und mehr noch mit dem Herzen.

2 Comments:

At 12:26 PM, Anonymous Anonym said...

shenghuo jiushi zheyang de. Als ich neu hier in Deutschland war, hatte ich auch solche ähnlich Gefühle und Gedanken. Manche bleibt sogar bis heute noch. Ja, fremdes Land und neue Gesellschaftskultur bringen immer was anderes. Egal ist zufrieden damit oder umgekehrt,nur werden wir uns selbst langsam verändern. Aber was wichtig und interessant ist, ist, dass man jeden Tag was neues darin entdecken und erleben kann....

 
At 1:04 PM, Blogger olr — 纪韶融 said...

Ich habe beschlossen, Sätze wie Deinen "Egal ist zufrieden damit oder umgekehrt" ganz offiziell CHEUTSCH zu nennen, der ist nämlich herrlich...

Gruß,

olr.

 

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